Panem et Circenses V
Erich Fromm schrieb 1956 in "Die Kunst des Liebens":
"Die meisten Menschen sind sich ihres Bedürfnisses nach Konformität nicht einmal bewußt. Sie leben in der Illusion, sie folgten nur ihren Ideen und Neigungen, sie seien Individualisten, sie seien aufgrund eigenen Denkens zu ihren Meinungen gelangt und es sei reiner Zufall, daß sie in ihren Ideen mit der Majorität übereinstimmen. Im Konsensus aller sehen sie den Beweis für die Richtigkeit 'ihrer' Ideen.
[...]
In der gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaft hat sich die Bedeutung des Begriffes Gleichheit geändert. Man versteht heute darunter die Gleichheit von Automaten, von Menschen, die ihre Individualität verloren haben. Gleichheit bedeutet heute 'Dasselbe-Sein' und nicht mehr 'Eins-Sein'. Es handelt sich um die Einförmigkeit von Abstraktionen, von Menschen, die den gleichen Job haben, die die gleichen Vergnügungen haben, die gleichen Zeitungen lesen und das gleiche fühlen und denken.
[...]
Der Mensch wird zu einer bloßen Nummer, zu einem Bestandteil der Arbeiterschaft oder der Bürokratie aus Verwaltungsangestellten und Managern. Er besitzt nur wenig eigene Initiative, seine Aufgaben sind ihm durch die Organisation der Arbeit vorgeschrieben.
[...]
Auch das Vergnügen ist [...] zur Routine geworden. Die Bücher werden von den Buchclubs, die Filme von den Filmverleihern und Kinobesitzern mit Hilfe der von ihnen finanzierten Werbeslogans ausgewählt und lanciert. Auch alles andere verläuft in der gleichen Weise: die sonntägliche Ausfahrt im eigenen Wagen, das Fernsehen, das Kartenspielen und die Partys. Von der Geburt bis zum Tod, von einem Montag zum anderen, von morgens bis abends ist alles, was man tut, vorgefertigte Routine.
Wie sollte ein Mensch, der in diesem Routinenetz gefangen ist, nicht vergessen, daß er ein Mensch, ein einzigartiges Individuum ist, dem nur diese einzige Chance gegeben ist, dieses Leben mit seinen Hoffnungen und Enttäuschungen, mit seinem Kummer und seiner Angst, mit seiner Sehnsucht nach Liebe und seiner Furcht vor dem Nichts und dem Abgetrenntsein zu leben?"
(Ullstein Taschenbuch-Ausgabe 3-548-36688-0, S. 24-28)
1956. Nicht 2006.
"Die meisten Menschen sind sich ihres Bedürfnisses nach Konformität nicht einmal bewußt. Sie leben in der Illusion, sie folgten nur ihren Ideen und Neigungen, sie seien Individualisten, sie seien aufgrund eigenen Denkens zu ihren Meinungen gelangt und es sei reiner Zufall, daß sie in ihren Ideen mit der Majorität übereinstimmen. Im Konsensus aller sehen sie den Beweis für die Richtigkeit 'ihrer' Ideen.
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In der gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaft hat sich die Bedeutung des Begriffes Gleichheit geändert. Man versteht heute darunter die Gleichheit von Automaten, von Menschen, die ihre Individualität verloren haben. Gleichheit bedeutet heute 'Dasselbe-Sein' und nicht mehr 'Eins-Sein'. Es handelt sich um die Einförmigkeit von Abstraktionen, von Menschen, die den gleichen Job haben, die die gleichen Vergnügungen haben, die gleichen Zeitungen lesen und das gleiche fühlen und denken.
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Der Mensch wird zu einer bloßen Nummer, zu einem Bestandteil der Arbeiterschaft oder der Bürokratie aus Verwaltungsangestellten und Managern. Er besitzt nur wenig eigene Initiative, seine Aufgaben sind ihm durch die Organisation der Arbeit vorgeschrieben.
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Auch das Vergnügen ist [...] zur Routine geworden. Die Bücher werden von den Buchclubs, die Filme von den Filmverleihern und Kinobesitzern mit Hilfe der von ihnen finanzierten Werbeslogans ausgewählt und lanciert. Auch alles andere verläuft in der gleichen Weise: die sonntägliche Ausfahrt im eigenen Wagen, das Fernsehen, das Kartenspielen und die Partys. Von der Geburt bis zum Tod, von einem Montag zum anderen, von morgens bis abends ist alles, was man tut, vorgefertigte Routine.
Wie sollte ein Mensch, der in diesem Routinenetz gefangen ist, nicht vergessen, daß er ein Mensch, ein einzigartiges Individuum ist, dem nur diese einzige Chance gegeben ist, dieses Leben mit seinen Hoffnungen und Enttäuschungen, mit seinem Kummer und seiner Angst, mit seiner Sehnsucht nach Liebe und seiner Furcht vor dem Nichts und dem Abgetrenntsein zu leben?"
(Ullstein Taschenbuch-Ausgabe 3-548-36688-0, S. 24-28)
1956. Nicht 2006.
msc - 2. Jan, 21:42
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